Lieber Herr Evangelist Lukas,
ich lese das Tagesevangelium vom 11. September und merke, wie ich sofort in die Streitsocken rutsche.
Auf diesen unterwegs zu sein und das auch noch schriftlich ist natürlich gefährlich.
Das weiß ich und trotzdem geht mein heutiger Brief in eben diesen Socken an Sie.
Ich fange mal von vorn an: Sie sind mir als Evangelist sehr sympathisch, denn als griechischer Arzt schreiben Sie die Geschichte Jesu für Nichtjuden auf. Also auch für mich.
Sie erzählen die meisten Gleichnisse. Oder Sie lassen Jesus die meisten Gleichnisse erzählen.
Oder bei Ihnen erzählt Jesus die meisten Gleichnisse. Welcher Satz stimmt?
Eine Frage, die ich mir seit meiner Kinderbibelzeit stelle. Naja, das klärt sich hoffentlich in der Ewigkeit.
Aber hier auf Erden lesen wir heute in der Feldpredigt Jesu zu Beginn:
„Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen Herzen das Böse hervor.“
Lieber Herr Lukas, mal im Ernst: gibt es wirklich Menschen, die von Natur aus böse sind?
Wir wissen beide, dass gerade am heutigen Datum die Frage nach der Boshaftigkeit der Menschen vor 20 Jahren ein Paradebeispiel bekommen hat. Aber trotzdem: wir Menschen sind doch Geschöpfe Gottes!
Wissen Sie, es gibt hier auf Erden immer wieder die Frage, ob ein Kind, dass durch eine Vergewaltigung, also durch das Böse entstanden ist, abgetrieben werden darf. Wollen Sie meine Meinung dazu wissen? Hier kommt sie:
Ich denke, Gott leidet mit jeder Frau, der auf diese Weise Gewalt angetan wurde. Aber er sagt JA zu dem neu entstandenen Leben und begibt sich mit einem göttlichen Funken, den wir unsere Seele nennen, mit auf den jeweiligen Lebensweg. Fragen Sie mal Gott, ob er das auch so sieht. Wäre schön.
Jedenfalls leite ich daraus ab, dass jeder Mensch von Natur aus gut ist. Jede und Jeder einen göttlichen Kern hat.
Und somit das Leben mit Ehrfurcht und Hochachtung zu behandeln ist. Nicht immer einfach, aber den Versuch sollte Jede und Jeder immer wieder und immer wieder bekommen.
Der nachfolgende Satz im Evangelium „Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr! und tut nicht, was ich sage?“
hat natürlich seine Berechtigung. Viel zu schnell lernen wir den Egoismus und unser göttlicher Funke ist oft unter schwarzen Kohlen versteckt. Aber er ist da! Da bin ich mir ganz sicher!
Und wenn Jesus von der Umkehr spricht, dann meint er ja wohl nicht, dass man nun von einer Distel Feigen oder einem Dornstrauch Trauben ernten könne, oder?
Nein, ich denke, er möchte unsere schwarzen Kohlen zum brennen bringen. Damit der Funke sichtbar leuchtet in unserer Welt und wärmt wo Not und innere Kälte herrscht.
Übrigens, kennen Sie John Newton? Er lebte im 18. Jahrhundert, war Sklavenhändler und wurde später ein empathischer Pfarrer und Bürgerrechtler. Sein Lied „Amazing Grace“ (erstaunliche Gnade) wurde zu einer Hymne der Menschenrechte und auch am Sonntag nach den furchtbaren Ereignissen vom 11.9.2001 wurde sie in New York gesungen.
Mit ein bisschen Suchen könnte ich Ihnen noch mehr Menschen nennen, die ihren göttlichen Funken erst spät entdeckt haben. Aber seien wir ehrlich: da haben Sie den besseren Überblick und könnten mir sicher viele viele Beispiele nennen, stimmts?!
Lieber Lukas, Sie mussten jetzt einiges aushalten. Genug allein gestritten.
Ich hab nämlich auch Grund zum Danke sagen. Zum einen endet das heutige Evangelium, wie kann es anders sein, mit einem zweiten Gleichnis und dieses ist klar und eindeutig.
Und zum anderen haben Sie uns das Weihnachtsevangelium geschenkt. Alle Jahre wieder lesen wir zu Hause
und in den Kirchen diesen Text. Keiner beschreibt die Geburt Jesu so schön wie Sie! Zugegeben, Markus und Johannes schreiben garnichts darüber und Matthäus beschreibt es kurz und knapp in zwei Sätzen. Egal, mit Ihrem Bericht haben Sie den Grundstein für das seit dem 3. Jahrhundert gefeierte Weihnachtsfest gelegt. Danke!
Und können Sie sich vorstellen: Jetzt im September liegen in unseren Geschäften schon wieder die passenden Süßigkeiten dazu bereit.
Einige Menschen behaupten ja auch, nur durch dieses Fest geriet das Christentum nicht unter die Räder der Geschichte und damit in Vergessenheit, aber das kann und will ich nicht glauben.
Was haben Sie dazu für eine Meinung?
Lieber Herr Lukas, grüßen Sie bitte heute all jene, die, egal wann, gewaltsam aus ihrem Erdenleben gerissen wurden. Das Wissen, dass man den Schritt in die Ewigkeit nicht allein gehen muss, dass man abgeholt und in Liebe umfangen wird, das ist mir ein großer Trost. Für jeden einzelnen Menschen und für mich!
Und grüßen Sie bitte auch die Mutter Maria, denn morgen feier ich mit vielen Frauen Namenstag. Halleluja!
So, ich zieh die Socken wieder aus und grüße Sie als meinen sympathischen Evangelisten.
Ihre Maria Schmidt