Tagesliturgie – Sonntag, 3. Januar

Zur Einführung GL 222, 1 + 9: Herr, send herab uns deinen Sohn

Herr, send herab uns deinen Sohn, die Völker harren lange schon.
Send ihn, den du verheißen hast, zu tilgen unsrer Sünden Last.
Freu dich, o Israel, bald kommt zu dir Immanuel.

Herr, wir vertrauen auf dein Wort; es wirkt durch alle Zeiten fort.
Erlöse uns, du bist getreu. Komm, schaffe Erd und Himmel neu.
Freu dich, o Israel, bald kommt zu dir Immanuel.

Wir haben uns mit diesen adventlichen Zeilen eingestimmt, um unsere Gedanken für das Bild zu öffnen, mit dem Johannes sein Evangelium beginnt: der Gleichsetzung von Jesus Christus mit dem Wort Gottes.

Evangelium nach Johannes, Kapitel 1, 1 – 18 (Link zu kompletten Text)

1 Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
2 Dieses war im Anfang bei Gott.
3 Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.
[…] 14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. […]

Zu allen Zeiten fragen die Menschen nach Gott, und zu allen Zeiten ist die Frage nicht leicht zu beantworten. Auch der Blick in die Bibel hilft oft nur begrenzt weiter, zu vielfältig sind die Möglichkeiten, die Texte zu lesen und zu deuten.
Ein ganz besonderes literarisches Beispiel dieser Suche hat uns Johann Wolfgang von Goethe im Faust hinterlassen. Der Gelehrte schickt sich an, den alten Text noch einmal neu zu übersetzen:

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Faust bringt ganz offenbar sein Gottesbild in den Übersetzungsversuch ein. In dieser Direktheit führt das sicherlich nicht zu einem guten Ergebnis, doch andererseits wird sich eine komplett „objektive“ Übersetzung kaum erzeugen lassen. Und vielleicht gewinnen wir einen Einblick in das Wesen Gottes, wenn wir Fausts Überlegungen einmal folgen?

Ausgehend vom ursprünglichen „Wort“ wählt er zuerst „Sinn“ als bessere Übersetzung. Inhaltlich gibt es dafür gute Gründe, denn wir glauben fest daran, dass Gottes Wort niemals dahergesagtes Gerede ist. Der Sinn mag sich uns nicht einfach erschließen, aber wir können daran arbeiten, ihn besser und immer wieder neu zu erkennen.

Faust gelangt nun zum Wort „Kraft“. Ein Sinn mag noch abstrakt oder theoretisch sein, doch Faust sieht in Gott etwas Stärkeres, Konkreteres. Und da selbst Kraft noch ins Leere laufen oder vergeudet werden kann, geht er weiter zur „Tat“. Wenn wir das Wirken des Wortes von der Erschaffung der Welt bis zur Menschwerdung in den Blick nehmen, wer könnte Faust bezüglich dieser Eigenschaft Gottes widersprechen?

Und so denke ich, der kleine Abschnitt aus dem Theaterstück ist vielleicht kein gutes Beispiel für eine Bibelübersetzung, aber eine einladende Meditation der ersten Zeilen des Johannesevangeliums über das Wesen von Gottes Wort in vier grundlegenden Eigenschaften.

Zwischengesang GL 375, 2:

Das All durchtönt ein mächtger Ruf: „Christ A und O der Welten!“
Das Wort, das sie zu Anfang schuf, wird bis ans Ende gelten.
Christkönig, Halleluja, Halleluja.

Während Gottes Wort diese vier Beschreibungen gleichzeitig in sich vereint, dürfen wir diese Kette vielleicht auch als länger andauernde Entwicklung unseres eigenen Glaubens, unserer Spiritualität deuten:

Zuerst begegnen wir Gottes Wort in der Bibel oder Jesus Christus in einem Menschen in unserer Nähe. Oft werden wir es nicht bemerken, aber unter der Gnade Gottes kann sich uns nach und nach ein Sinn darin erschließen. Es ist, als ob sich die Worte langsam zu einem Bild formen. Und wenn wir diesen Sinn bedenken und uns fragen, was er für unser Leben bedeutet, dann können wir daraus Kraft schöpfen. Egal, ob wir diese Kraft einsetzen, um andere zu trösten, im Gebet für sie zu bitten oder uns auf andere Weise für Menschen in Sorgen oder Nöten einsetzen, die gewonnene Kraft bricht sich irgendwann Bahn in Taten.

So folgt auch unsere Spiritualität möglicherweise ein wenig den Worten, die Goethes Faust bei der Betrachtung des Johannes-Evangeliums zu Papier bringt. Nach Psalm 8 sind wir Menschen „nur wenig geringer gemacht als Gott“. Und so wollen wir den Eigenschaften Gottes nacheifern, um zu dem Menschen zu werden, den Gott bei der Schöpfung vor Augen hatte.

Den Segen dazu lassen wir uns noch einmal aus dem Gotteslob mit der Nummer 450 zusprechen:

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;
es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

Unter diesen Stern wollen wir uns stellen.
Amen.

(Christoph Nitsche)