Brief in die Ewigkeit – Newsletter Nr. 25

Lieber, hochverehrter Meister Eckart,
mein Brief in die Ewigkeit richte ich heute nicht an einen Heiligen, sondern an Dich, Meister Eckart, der Du für mich durchaus ein Heiliger sein könntest. Wann Du genau geboren wurdest und  in welchem Ort wissen wir nicht, wir wissen nur, dass Du vor dem 30. April 1328 in Avignon in die Ewigkeit abberufen wurdest. Du wurdest von der heiligen katholischen Kirche nicht zum Heiligen erklärt, sondern man griff eine Denunziation durch zwei zwielichtige Ordensmitbrüder auf und führte unter dem damals herrschenden Papst Johannes XXII. (1328) ein Inquisitionsverfahren durch, das für damalige Verhältnisse für Dich glimpflich ausging. Allerdings wurden Deine Schriften und Deine Lehre von dem damaligen Papst als Irrlehre verboten.

Gleichwohl wurde Deine Lehre trotz des Verbots insbesondere im deutschsprachigen und niederländischen Sprachraum verbreitet und gehört heute zu den wichtigen theologischen Grundlagen. Nicht zuletzt hast Du wesentlich einen Beitrag zur Gestaltung der deutschen philosophischen Fachsprache geleistet.

Du wirst mich fragen, warum ich jetzt ausgerechnet einen Brief an Dich schreibe, und ich antworte Dir darauf, weil Du für mich ein Vorbild gerade für unsere heutige Zeit bist. Einer Zeit, die zwar große Phrasen, wie die sogenannte Zeitenwende verbreitet, dabei aber gar nicht bemerkt, wie inhaltslos und leer viele der jetzt verbreiteten gesellschaftspolitischen Lehren und wie wenig hilfreich sie für den Einzelnen sind. Der wahre Kern des menschlichen Seins ist – wie Du es in Deinen vielen Schriften und in den zahlreichen Predigten, von denen heute noch ca. 60 vorhanden sind – geschrieben und gepredigt hast, ist Gott selbst, der auch in der Seele eines jeden Menschen vorhanden ist. Wir brauchen uns nicht an vermeintlichen Vorbildern zu orientieren, die uns vielfältig angeboten werden, aber in den meisten Fällen in die Irre, sprich Leere, führen. Wir müssen nur den Mut und die Bereitschaft haben, in uns selbst zu schauen und die transzendale Verbindung zwischen uns und Gott suchen. Das Geheimnis für das Lesen unseres persönlichen Kompasses, an dem wir selbst unseren Kurs erkennen und bestimmen können, ist bei uns selbst vorhanden. Wir müssen dieses Geheimnis nur suchen und werden es dann auch finden.

Deine Lehre richtete sich nicht nur an die Theologen, sondern insbesondere an die „ungelehrten“ Christen, wie Du es in Deinen Schriften zum Ausdruck bringst. Um als Christ Vorbild in unserer Welt zu sein, benötige ich keine akademische Ausbildung, sondern nur die innere Bereitschaft, über meine eigene Beziehung zu Gott nachzudenken.

Auch Du hast Dich nicht zu Deiner Zeit an das gehalten, was als allgemeingültige Auffassung von der Obrigkeit vertreten wurde. Du warst ein Querdenker im echten Sinne, nämlich ein Denker, der sich nicht nach einer Mehrheitsmeinung, sondern an seinem eigenen inneren Kompass orientiert. Das hat zu Deiner Zeit bereits dazu geführt, dass quer gedachte Meinungen als Häresie, also Irrglaube, verteufelt wurden. Insofern gibt es Parallelen zur heutigen Zeit, so dass wir von Deiner Aufrichtigkeit und Klarheit des Denkens lernen können.

Es ist auch nicht überraschend, dass Du kein Heiliger im Sinne des menschlichen Denkens geworden bist. Aber unsere katholische Kirche ist durchaus sehr klug und hat nicht ohne Grund einen Tag „Allerheiligen“ geschaffen, um damit alle diejenigen mit einzuschließen, die, ohne es zu wissen, die wirklichen Heiligen sind.
Ich danke Dir für Deine Gedanken und wünsche mir, dass viele Menschen sich einmal intensiver mit Deiner Lehre befassen.

Es grüßt aus dem Diesseits, Dein Erdenbürger Jörg-Michael Bornemann