Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite
… ein besonderer Bibelvers! Ich erwählte ihn mir als meinen Primizspruch, also als ein Motto für mein priesterliches Wirken. Von diesem Vers bin ich überzeugt, dass er die Jahre meiner Ausbildung prägte und mir weiterhin wichtig bleibt! Dieser Vers aus der Thomaserzählung ist eine Aufforderung Jesu an mich und an jeden Christen – nicht nur an den „ungläubigen“ Thomas oder den besonders zweifelnden Menschen! Nein, diese Aufforderung gilt allen, die mit dem auferstandenen Christus wirklich in Berührung kommen wollen. Es ist eine Ermutigung! Aber wozu? Die Hände auszustrecken um nach einem auferstandenen Christus zu greifen, von dem wir wissen, dass er nicht mehr da ist? Er ist ja selbst in den Himmel aufgefahren und hat uns seinen Hl. Geist gesandt!
„Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite“ – das ist eine Aufforderung nach der SEITE Jesu zu greifen! Jene Seite an der sich die Verwundung des Leibes Christi findet! Jeder der also in Berührung mit dem auferstandenen Christus kommen will, soll jene Wunde berühren, welche durch den Menschen dem menschlichen Leib Jesu zugefügt wurde! Die Wunde Jesus – ein Zeugnis der Missachtung des Gottessohnes und seiner Botschaft! Ein Zeugnis der Verletzung und Ausgrenzung, der Vergewaltigung und der menschlichen Machtbesessenheit, die den Friedensfürsten in dieser Welt nicht ertragen kann und ihn deswegen aufspießt. Diese Wunde Jesu – sie begegnet uns auch heute noch! Dort wo Menschen aus Hass verletzen und krank machen, wo sie aus Gier hungern lassen und Kriege führen, wo sie aus Rache und Zorn töten und einander die Heimat berauben, wo das menschliche Leben seinen unantastbaren Wert verliert, weil es ungeboren, alt oder krank ist!
„Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite!“ d.h. zieh dich nicht zurück, weil ja alles so untragbar, so un-glaublich geworden ist! Nein, Jesus fordert uns auf – jeden Einzelnen – sich diesen Wunden zu stellen und sie zu berühren! Dann fällt auf, dass auch wir zu oft den Leib Christi verwundet haben, weil wir als Christen den Menschen in unseren Familien, Gemeinden, Freundschaften und Bekanntschaften Verwundungen zugefügt haben! Fragen wir doch mal die Menschen mit denen wir täglich zu tun haben, nach ihren Verwundungen? Es ist möglich, dass wir nicht den Mut finden uns diesen offenen Wunden zu stellen! Weil wir die Verletzung am anderen Menschen nicht aushalten!
Es ist aber auch möglich, dass wir uns mit Blick auf die Verletzung und Verwundung schämen! Wie die junge Frau auf meinem Primizbild! Sie wendet ihr Angesicht vom Torbogen ab, auf dem lauter Verwundete eingraviert sind. Schützend hält sie ihre linke Hand zwischen sich und den Menschen, der immer wieder unter der Last seines Kreuzes zerbricht und der schließlich zu Tode gequält daran stirbt! Ihr begegnet der fast schon verzweifelte und um seinen Glauben ringende Mensch aber auch der Nackte und Kranke; der Hungernde und schließlich der in Fesseln liegende unfreie und gefangene Mensch. Die junge Frau aber hat den Mut durch dieses Tor hindurchzugehen. Sie fühlt sich angezogen vom hellen Licht und der sich ihr entgegenstreckenden Hand. Sie vertraut darauf, dass sie hinter diesem Tor der Verwundeten – hinter diesen Wunden der Menschen dem begegnet, der ihr schließlich segnend die Hand auflegt und auch heute noch zu uns spricht: „Der Friede sei mit euch! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“
Jesus selbst hat sich immer wieder der Verwundungen des Menschen angenommen. Er begegnete den Sündern, Armen, Einsamen und Kranken und schenkte ihnen mit seiner Nähe Heil und Segen. Er machte sich in den Verwundungen der Menschen selbst berührbar.
Florian Mroß
Für alle Verzagten, Kranken, Trostsuchenden, die diese Predigt (gehalten im Gottesdienst am 20.08.17) über das Primiz-Bild von M.-L. Nikolaev – „Das Tor der Verwundeten“ nicht hören konnten oder die Worte nochmal nachlesen möchten ist sie hier veröffentlicht. Möge allen Kranken Mut und Kraft daraus erwachsen.