Brief in die Ewigkeit – Newsletter Nr. 32

Hochverehrter Leo IX,

heute richte ich meinen Brief an Dich, der Du einerseits als Reformpapst in die Geschichte der Kirche eingegangen bist, aber andererseits nicht verhindern konntest, dass es zu der Trennung der Kirchen im Osten und dem Westen gekommen ist.

Dieses Ereignis, das sich unter dem Begriff „Schisma der Kirche“ 1054 ereignete und zu einer endgültigen Trennung der östlichen orthodoxen Kirche von der römisch-katholischen – also westlich orientierten – Kirche ereignete, ist nach wie vor hoch aktuell, obwohl inzwischen fast tausend Jahre vergangen sind.Warum ist mir dieses Ereignis heute wieder eingefallen, so dass ich Dich in meinem Brief bitten möchte, uns zu sagen, was wir unternehmen können, um ein neues Schisma der Kirchen zu verhindern? Der Grund ist sehr einfach. Es zeigt sich, dass wir auch heute wieder eine kirchenpolitische Konstellation vorfinden, die sich von der damaligen kaum unterscheidet.

Auch im elften Jahrhundert kam es zu einem zunehmenden Auseinanderfallen des Denkens und des Sprechens zwischen dem Osten und dem Westen, das zu einer Entfremdung der Ost-Kirche von der West-Kirche führte und schließlich im Jahr 1054 zum Bruch zwischen beiden Kirchen führte.

Äußerlich betrachtet, waren es unterschiedliche Auffassungen über das Verständnis des Papstes und den Ausdrucksformen in der Liturgie. Bei einer näheren Betrachtung konnte man aber wahrnehmen, dass es keinesfalls in erster Linie um rein kirchliche Fragen und damit um die Verkündigung des Glaubens und der Nachfolge Christi ging, sondern dass damals wie heute staatliche Machtansprüche und die Verbindung zwischen den Kirchen und dem Kaiser – heute können wir anstelle des Kaisers die Regierungen benennen – eine der wichtigsten Gründe waren, warum es dann auch innerhalb der Kirchen zu dem großen Buch kam, für das Christus mit Sicherheit kein Verständnis aufbringen wird. Warum hast Du Dich als Papst mit dem damaligen Kaiser Konstantin IX verbünden wollen, obwohl es doch gar nicht um theologische Fragen, sondern um Gebietsansprüche der Normannen gegen die Byzantiner um Süditalien ging? Siehst Du nicht wieder Parallelen, wenn jetzt in der Ukraine eine eigene orthodoxe Kirche etabliert wird, die sich bewusst an die Westkirche orientiert, so dass sogar die Feiertage neu festgelegt worden sind? Ist das nicht wieder ein neues Schisma, diesmal wieder mit einem eindeutigen machtpolitischen Hintergrund, der mit der christlichen Verkündigung auch gar nichts zu tun hat? Auch möchte ich Dich fragen, wie Du die Rolle der westlichen Kirche einschätzt, die ja selbst mit großen Auseinandersetzungen zu kämpfen hat und sich offensichtlich auch sehr stark mit den weltlichen Kräften arrangiert, obwohl sie doch den Anspruch haben sollte, ihren eigenen Standpunkt auch gegenüber weltlichen Mächten zu vertreten?

Die Auseinandersetzungen innerhalb unserer Kirche im Zusammenhang mit neuen Strukturen, die sich voll inhaltlich an staatliche Strukturen ausrichten, der Kampf einzelner innerkirchlichen Gruppen, die alles in Frage stellen und Gruppen, die meinen genau das Gegenteil machen zu müssen, so dass zwischen beiden Gruppen nur noch Sprachlosigkeit herrscht, sind nichts anderes als eine Entfremdung des Denkens, das bereits zur Zeit des ersten Schismas der Kirche vorhanden war.
Vielleicht solltest Du uns sagen, wie wir wieder dahin kommen können, dass wir die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche nicht als Vorlage für den weltlichen Staat benutzen, dass dieser weiter in die Kirchen hineinregiert und letztlich die kirchenpolitische Ausrichtung bestimmt. Versuchen wir wieder eine gemeinsame Sprache zu sprechen und lassen uns diese nicht von den Politkern diktieren.

Vielleicht kannst Du, Leos IX einmal direkten Kontakt mit Deinem derzeitigen Amtsbruder, Papst Franziskus aufnehmen und diesen auffordern in diesem Sinne alle einmal wieder zur Ordnung zu rufen.

Mit den besten Grüßen aus dem Diesseits,

Dein Erdenbürger Jörg-Michael Bornemann