Liebe Maria-Magdalena,heute wende ich mich an Dich, um einmal in den Mittelpunkt zu stellen, dass die Barmherzigkeit nicht mit dem Tod eines Menschen aufhört. Es ist bezeichnend, dass uns die Werke der Barmherzigkeit in ihrem 7. Lehrsatz auffordern, „die Toten zu begraben“. Jetzt werden viele Leser dieses Briefes fragen, warum ich deshalb meinen Brief an Dich, Maria-Magdalena, richte. Der Tod ist in unserer Gesellschaft immer mehr an den Rand unseres Denkens gerückt worden, obwohl der Tod der einzige Zustand ist, den jeder Mensch, gleichgültig welchen gesellschaftlichen Stand er im Leben hatte, erleben wird. Ja das Wort „erleben“ wähle ich ausdrücklich, denn das Erleben ist kein Widerspruch zum Tod. Der Anfang unserer Kirche und das trifft letztlich auf alle christlichen Kirchen zu, ist der Tod unseres Herrn Jesus Christus, der aber nach christlicher Auffassung nicht im Tod verblieben, sondern auferstanden ist.
Wenn es zutrifft, dass der Tod der Beginn eines neuen Lebens ist, wobei wir uns dieses nicht in unserer irdischen Leiblichkeit vorstellen dürfen, dann gehört zu dem Übergang zwischen Tod und neuen Leben eine Ehrfurcht der Lebenden gegenüber den Toten, die bereits einen Weg bestritten haben, den alle Menschen eines Tages gehen müssen.
Du, Maria-Magdalena, hast diesen großen Dienst, der von vielen wahrscheinlich gar nicht in dieser Wichtigkeit gesehen wurde und wird, an Christus geübt. Du bist mit Deinen Gefährtinnen, Männer haben Euch nicht begleitet, zum Grab von Christus gegangen und hast dem Toten die letzte Ehre erwiesen, die auch ein großes Zeichen der Ehrfurcht widerspiegelte. Dies erfolgte bei einem Menschen, der in der damaligen Zeit als Aufrührer und Verbrecher angesehen wurde und deshalb durch das Kreuz hingerichtet wurde. Sich mit solchen Leuten abzugeben, war auch nicht ungefährlich, weil man sehr schnell mit diesen Verbrechern auf eine Stufe gestellt wurde. Aber genau das ist die große Tat, sich über gesellschaftliche Verbote hinwegzusetzen, wenn diese jegliche Menschlichkeit vermissen lassen. Das Umhüllen des toten Körpers von Jesus durch Maria-Magdalena war ein Ausdruck der Ehrerbietung und der Achtung vor dem Tod als Eingang in ein neues Leben.
Heute scheint es wieder an der Zeit zu sein, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Wenn der Tote nur noch als tote Sache angesehen wird, die es gilt, möglichst umweltschonend zu entsorgen, dann zeigt dies den Zustand einer Gesellschaft an. Der Gipfel einer Entmenschlichung ist es, wenn man – wie ich dies kürzlich gelesen habe – einen Toten kompostiert. Auch wenn hier der Eindruck vermittelt wird, dass man damit der Natur etwas Gutes antut, so bestehen doch erhebliche Zweifel, ob man in einer solchen Form mit Verstorbenen umgehen sollte. Die Werke der Barmherzigkeit fordern uns auf, dafür zu sorgen, dass die Toten bestattet werden, wobei ich dies dahingehend ergänze, dass es auch um die Würde bei dem Vorgang des Beerdigens gehen muss. Wenn die Kosten für eine Bestattung mittlerweile so hoch werden, dass Angehörige überlegen, ihre Toten möglichst billig zu beseitigen, dann sollten wir als Christen diese Aufgabe übernehmen und dafür sorgen, dass auch Arme mit Würde und nicht nur in Anwesenheit eines Bestatters begraben werden können.
Liebe Maria-Magdalena, gibt Du der Kirche – ich möchte eigentlich sagen, den Kirchen – die sich auf den berufen, den Du mit Würde und Ehrfurcht begleitet hast, nämlich Jesus Christus unseren Herrn, den Impuls, dass sie bei allen scheinbaren organisatorischen Verbesserungen nicht vergisst, dass sie sich auch darum zu kümmern hat, die Toten im Sinne der Werke der Barmherzigkeit zu begraben. Wir glauben fest daran, dass mit dem Tod nicht das Ende erreicht ist, sondern der Beginn eines neuen Lebens.
Es grüßt Dich herzlich in die Ewigkeit, Dein Erdenbürger Jörg-Michael Bornemann